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Was ist der verstehenorientierte Zugang und wie kann ich diesen für mich in meiner Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gewinnen?
Der verstehensorientierte Zugang laut FICE
Der verstehensorientierte Zugang in der sozialpädagogischen Praxis legt den Fokus darauf, die individuelle Lebenswelt, die Gefühle, Bedürfnisse, Wünsche und die spezifische Situation von Kindern, Jugendlichen oder Betreuten nachvollziehen und verstehen zu können. Es geht darum, ein tiefes Verständnis für die Person und ihre Perspektive zu entwickeln, bevor Interventionen oder Unterstützungsangebote geplant und umgesetzt werden. Dieser Ansatz berücksichtigt die biografischen Erfahrungen, die aktuellen Kontext- und Situationsbedingungen sowie die subjektive Sichtweise des Individuums.
Schritte eines verstehensorientierten Zugangs
1. Beziehungsaufbau und Schaffung eines sicheren Raumes
- Handlungsschritte: Aktives Zuhören und empathische Kommunikation, um eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Schaffen eines Umfelds, in dem sich der/die Jugendliche frei fühlen kann, seine/ihre Gedanken, Gefühle und Sorgen ohne Angst vor Urteilen oder Konsequenzen zu äußern.
2. Erfassung der Lebenswelt und Perspektive
- Handlungsschritte: Sammeln von Informationen über die Lebenssituation, die Geschichte, die Beziehungen und das soziale Umfeld des/der Jugendlichen. Einbeziehen von direkten Äußerungen, Verhaltensweisen und nonverbalen Signalen, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten.
3. Bedürfnisanalyse und Verstehen der Motivation
- Handlungsschritte: Analyse und Reflexion über die geäußerten und möglicherweise unausgesprochenen Bedürfnisse und Wünsche. Versuch, die tiefer liegenden Motivationen und mögliche Konflikte oder Ambivalenzen zu verstehen, die hinter bestimmten Verhaltensweisen stehen. [Im Anhang mehr]
4. Reflexion und Selbstreflexion
- Handlungsschritte: Gemeinsame Reflexion mit dem/der Jugendlichen über das Verstandene und die Situation. Selbstreflexion der Fachkraft über eigene Vorannahmen, Werte und mögliche Vorurteile, die die Wahrnehmung und Interaktion beeinflussen können.
5. Gemeinsame Erarbeitung von Handlungsoptionen
- Handlungsschritte: Auf Basis des gemeinsamen Verstehensprozesses werden mit dem/der Jugendlichen mögliche Schritte und Lösungen erarbeitet. Wichtig ist hierbei, dass der/die Jugendliche aktiv in den Prozess einbezogen wird und Selbstbestimmung erfährt.
6. Planung und Umsetzung von Unterstützungsangeboten
- Handlungsschritte: Entwicklung eines individuellen, auf die Bedürfnisse und die Lebenswelt des/der Jugendlichen abgestimmten Unterstützungsplans. Umsetzung in enger Absprache und mit der aktiven Beteiligung des/der Jugendlichen.
7. Evaluation und Anpassung
- Handlungsschritte: Regelmäßige Überprüfung der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen gemeinsam mit dem/der Jugendlichen. Anpassung der Unterstützungsangebote basierend auf neuen Erkenntnissen oder veränderten Bedingungen.
Der verstehensorientierte Zugang erfordert eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der eigenen professionellen Rolle und den eigenen Haltungen. Er zielt darauf ab, die Autonomie und die Selbstbestimmung des/der Jugendlichen zu fördern und eine Basis für nachhaltige Veränderungsprozesse zu schaffen.
Die Bedürfnisanalyse
Die Bedürfnisanalyse und das Verstehen der Motivation in der sozialpädagogischen Praxis sind wesentliche Schritte, um effektiv auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Betreuten eingehen zu können. Dieser Prozess erfordert sorgfältige Beobachtung, empathische Kommunikation und eine reflektierte Haltung seitens der Fachkräfte. Hier sind einige konkrete Beispiele, wie dieser Prozess in der Praxis aussehen könnte:
Beispiel 1: Einzelgespräche
Situation: Ein Jugendlicher zeigt plötzlich Verhaltensänderungen, wie Rückzug oder Aggression.
- Handlungsschritte:
1. Initiierung eines Einzelgesprächs in einer ruhigen, geschützten Umgebung, um dem Jugendlichen das Gefühl zu geben, dass seine Stimme gehört wird und seine Gefühle wichtig sind.
2. Aktives Zuhören, bei dem die Fachkraft dem Jugendlichen volle Aufmerksamkeit schenkt, ohne sofort zu urteilen oder Lösungen vorzuschlagen. Dies kann dem Jugendlichen helfen, sich zu öffnen und möglicherweise unausgesprochene Bedürfnisse oder Sorgen zu teilen.
3. Gezielte Fragen stellen, die darauf abzielen, mehr über die Hintergründe der Verhaltensänderung zu erfahren, z.B.: „Gibt es etwas, das dir Sorgen bereitet?“ oder „Was bräuchtest du, um dich besser zu fühlen?“
4. Reflexion und Zusammenfassung, um sicherzustellen, dass die Fachkraft die Äußerungen des Jugendlichen richtig verstanden hat und um eine Basis für weitere Schritte zu schaffen.
Beispiel 2: Gruppenaktivitäten zur Förderung des Ausdrucks
Situation: Einige Jugendliche tun sich schwer, ihre Bedürfnisse direkt zu artikulieren.
- Handlungsschritte:
1. Einsatz kreativer Methoden wie Kunsttherapie oder Musik, die Jugendlichen helfen können, ihre Gefühle und Bedürfnisse auf nichtverbale Weise auszudrücken.
2. Gruppendiskussionen zu Themen, die die Jugendlichen selbst wählen, was ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Meinungen und Sorgen in einem sicheren Rahmen zu teilen.
3. Rollenspiele, um Konfliktsituationen durchzuspielen und dabei mögliche Bedürfnisse und Wünsche zu erkunden, die in diesen Konflikten eine Rolle spielen könnten.
4. Feedback-Runden, in denen Jugendliche die Möglichkeit haben, Rückmeldung zu den Aktivitäten und dem Gruppenprozess zu geben, was weitere Einsichten in ihre Bedürfnisse liefern kann.
Beispiel 3: Beobachtung und Dokumentation
Situation: Ein Jugendlicher kann oder will seine Bedürfnisse nicht verbal kommunizieren.
- Handlungsschritte:
1. Beobachtung des Verhaltens und der Interaktionen des Jugendlichen im Alltag und in verschiedenen Kontexten (z.B. in der Gruppe, während der Freizeitaktivitäten), um Hinweise auf mögliche Bedürfnisse zu sammeln.
2. Dokumentation von Auffälligkeiten und Mustern im Verhalten sowie von Situationen, in denen der Jugendliche besonders positiv oder negativ reagiert.
3. Interdisziplinärer Austausch mit anderen Fachkräften (z.B. Psychologen, Therapeuten) über die Beobachtungen, um ein umfassendes Bild der Bedürfnisse des Jugendlichen zu erhalten.
4. Entwicklung eines individuellen Förderplans basierend auf den gesammelten Informationen, der speziell auf die identifizierten Bedürfnisse und Wünsche des Jugendlichen eingeht.
Diese Beispiele zeigen, wie die Bedürfnisanalyse und das Verstehen der Motivation durch direkte Kommunikation, kreative Methoden und aufmerksame Beobachtung in der Praxis umgesetzt werden können. Der Schlüssel liegt darin, dem Jugendlichen zuzuhören, seine Perspektive zu würdigen und ihn als aktiven Teilnehmer im Prozess der Bedürfnisanalyse zu sehen.
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